Montag, 26. April 2021

“Ein Gott der Frechheit”

In seinem 1996 erschienenen Buch “Schweinsgalopp” behauptete der verstorbene Sir Terry Pratchett, dass ein Überfluss von Glaube zu aus dem Nichts entstehenden Göttern führe. Zum Beispiel, im Lauf der Geschichte begegneten die Leser*innen Bilius, dem Ohmeingott des Katers am Morgen danach. In der heutigen Zeit, in der Religionszugehörigkeit immer niedriger wird, gibt es überall unbenutzte Glaubenskraft, die sehr leicht zum Entstehen eines sogenannten “Kleinen Gottes” oder einer “Kleinen Göttin” führen kann. Kaum hätte George R.R. Martins Tyrion Lannister seinen Gesellen gefragt, warum es keinen Gott von Möpsen und Wein gäbe, entstünde er. Oder richtiger gesagt, entstünde SIE, weil das göttliche Wesen, dessen Domäne Brüste sind, ist doch klar weiblich. Im Mittelmeerraum heißt sie “Vinaverita”, während ihre Entsprechung nördlich der Alpen “Dirndl” heißt, die Göttin von Busen und Bier. Die beiden gnädigen Damen sind natürlich sehr albern und freundlich, und besitzen reichlich Holz vor da Hütt’n.

Selbst die ruhende Glaubenskraft einer jahrzehntelangen Atheistin wie mir könnte von einer verlockenden fiktiven Religion geweckt werden. Der überzeugende Pantheon aus Lois McMaster Bujolds “Welt der fünf Götter” Serie (Vater des Winters, Mutter des Sommers, Bruder des Herbstes, Schwester des Frühlings und der Bastard, der Gott von allen Dingen, deren Zeit gerade nicht ist) hat ohne Zweifel eine Glaubensspritze von mir bekommen, weil diese Bücher so ein Verlangen in meinem Herz geweckt haben. Eine Religion mit einem bestimmten Gott für Menschen, die “nicht zum fruchtbaren Verkehr zwischen Männern und Frauen neigen”, spricht zu den Herzen der mitfühlenden Menschen, die die Behandlung von LGBTQ+-Mitmenschen durch die abrahamitischen Religionen abscheulich finden.

Allerdings erzählte Sir Terry nur die halbe Wahrheit: Es ist nicht der Glaube an einen Gott oder eine Göttin, der notwendig für die Schaffung der Götter ist. Obwohl der Glaube erforderlich für das Wachstum und die Unterstützung der Götter ist, ist allein schon das Fantasieren eines Gottes oder einer Göttin ausreichend für die Götterentstehung. Obgleich Sten Nadolny ein Buch geschrieben hat, das sich eigentlich um den durch die Augen einer jungen Journalistin namens Helga gesehenen Gott Hermes dreht, führte seine Wahl des Buchtitels zur Entstehung eines Gottes. Sobald meine Augen auf dem Titel “Ein Gott der Frechheit” gelandet waren, entstand Tschiekie, DER Gott der Frechheit. Tschiekie verkörpert den Geist der Frechheit als Konzept, eine Domäne die wirklich nie zu Hermes gehörte. Er springt auf dem jenseitigen Hof der unabhängigen und größtenteils vernachlässigten Kleinen Götter umher, während er Furzkissen auf die Stühle legt, den sich zu ernst nehmenden Göttern eine lange Nase dreht, und meistens eine kolossale Nervensäge ist.

Was würde der Glaube an Tschiekie beinhalten? Wie würde seine Religion aussehen? Wie sollte seine Gemeinde ihn anbeten? Wie sehen seine Rituale aus? Diese Fragen sind mehr oder weniger egal, weil die Geburt eines Gottes wie die Übertragung von Viren geschieht, die von Sinn zu Sinn durch die Augen oder die Ohren springen können: weder Missionieren noch Predigen ist notwendig. Und du, lieber Leser, liebe Leserin, hast gerade unsere Gemeinde erweitert, ob du willst oder nicht.

“Ein Gott der Frechheit”

In seinem 1996 erschienenen Buch “Schweinsgalopp” behauptete der verstorbene Sir Terry Pratchett, dass ein Überfluss von Glaube zu aus dem ...